Der 4. August 1857

historische Notiz von Harry Gastler:

 

I. Das Land

Die Menschen hier lebten im damaligen Großherzogtum Oldenburg, einem Mitglied des Deutschen Bundes, den es nach der versuchten politischen Umwälzung 1848/49 wieder gab und der vom Kaiserreich Österreich dominiert wurde.

Regent war seit 1853 Großherzog Nikolaus Friedrich Peter. Die Heirat seiner Schwester Amalie mit dem griechischen König Otto I. schenkte Oldenburg eine gewisse europäische Rangerhöhung.

Das Großherzogtum umfasste derzeit neben dem Stammland das 1803 erworbene Niederstift aus dem aufgelösten Fürstbistum Münster um Vechta und Cloppenburg sowie Wildeshausen und dazu die Fürstentümer Lübeck und Birkenfeld und die Herrschaften Jever und Kniphausen.

Es besaß eine Größe von 6200 km² und hatte eine Bevölkerung von ca. 274900 Einwohnern.

Oldenburg war eine konstitutionelle Monarchie seit dem neuen Staatsgrundgesetz vom 22. November 1852. Der Großherzog war das Staatsoberhaupt, ihm stand die ausführende Gewalt zu und er wirkte mit dem Landtag an der Gesetzgebung mit. Der Landtag als zweites Staatsorgan besaß das Budgetrecht und andere Mitwirkungsrechte. Gewählt wurde indirekt nach einem Dreiklassenwahlrecht, was dem Besitzbürgertum wegen dessen höheren Steueraufkommens ein politisches Übergewicht einbrachte und der Entwicklung zu einem wahren Parlamentarismus im Wege stand. Es wurde konservativ-liberal regiert.

Oldenburg war 1852 dem preußisch geführten „Deutschen Zollverein“ beigetreten und blieb dann an der Seite Preußens, auch wegen des mächtigen Nachbarn Hannover, indem es im Jade-Vertrag von 1853 ein Gebiet an der Jade für einen preußischen Kriegshafen für gutes Geld und diplomatische Unterstützung verkaufte. Eine Anlehnung, die 1866 dem Großherzogtum das Überleben rettete.

           

II. Die Wirtschaft und Bevölkerung

Oldenburg war ein landwirtschaftlich geprägtes und zugleich armes Land mit einem mächtigen Anteil an Sand-, Heide- und Moorgebieten. In den Marschen blühte die Landwirtschaft, auf den kargen Böden der Geest gedieh meistens nur der „ewige Roggen“, wenig erträglich, der im Süden wegen des bescheidenen Absatzes oft als Branntwein vermarktet wurde (in Vechta gab es seinerzeit 53 Brennereien). Auf den ausgedehnten Heidegebieten weideten Schafherden. Die Teilung der Gemeinheiten 1806 hatte zwar neuen Grund und Boden bereitgestellt. Aber für die Landwirtschaft auf der Geest gab es ein Jahrzehnt nach 1857 einen Aufschwung durch den Kunstdünger und den Ausbau des Eisenbahnnetzes.

Für die Landarmen, Häuslinge, Köter, Brinksitzer und Kolonisten, war eine Nebenbeschäftigung daher oft genug eine Überlebensfrage. Verbreitet waren die Hollandgängerei, die Heimarbeit der Leineweber (in Dötlingen gab es 1855 118 Handwebstühle), die Strumpfstrickerei (um Visbek und Großenkneten), das Korkschneiden (in Delmenhorst) und in den Mooren das Torfstechen.

Das Handwerk, zunächst für die Versorgung einer Gemeinde bescheiden ausgeübt, vermehrte sich erst allmählich in der Nähe der Städte und natürlich in ihnen wegen des besseren Auskommens dort – neben der Residenz in Wildeshausen, Varel, Brake, Elsfleth, Delmenhorst – und erhielt erst neue Impulse durch die Gewerbefreiheit von 1861.

Insgesamt waren zwei Drittel der Bevölkerung in der Landwirtschaft beschäftigt. Die Industrie steckte tief in den Anfängen. Aber in Varel gab es, begünstigt durch seine Lage am Wasser und Exportverbindungen nach England, ein frühindustrielles Zentrum. Seine Textil- und Eisenbetriebe beschäftigten schon tausend Arbeiter. Die Glashütte in Oldenburg schuf wichtige Arbeitsplätze. In Bockhorn und Umgebung zählte man 35 Ziegeleien.

 

III. Der Verkehr

Das Großherzogtum besaß damals ein Grundnetz von Straßenverbindungen nach den Amtssitzen in Delmenhorst, Wildeshausen, Jever, Westerstede ins Münsterland und zuletzt 1852 nach Brake. Die Verbindungen der Gemeinden untereinander wurden erst allmählich, oft in Verbindung mit dem beginnenden Eisenbahnbau, vorangetrieben. Als Kopfstein-, Granit- oder Klinkerpflasterung.

1857 waren die Wasserwege noch die Hauptverkehrswege: die Unterweser mit den Häfen in Brake und Elsfleth, die Hunte mit dem Hafen in Oldenburg; Barßel galt als Zentrum der Emsschifffahrt. Die Frachtschifffahrt und der Walfang führten schon weit nach Übersee. Kanalbauten dienten zunächst zur Entwässerung der Moore und als Transportwege der Moorkolonisten. Der Oldenburg-Ems-Kanal (Küstenkanal) war gerade 1855 als Großprojekt begonnen worden.

 

IV. Das kulturelle Leben

Ein kulturelles Leben fand 1857 vor allem in der Residenz statt. Dabei spielten die Bildungsvereine eine wesentliche Rolle. Die Gründung der „Oldenburgischen Literarischen Gesellschaft“, der „Literaria“, galt dem Leser, der Pflege wissenschaftlicher Gespräche und einer anspruchsvollen Geselligkeit innerhalb des Bildungsbürgertums der Residenz. Ähnlich die „Casino-Gesellschaft“. Man wollte Anschluss halten an die Kultur der nahen großen Städte Bremen, Hamburg, auch Göttingen. Andere Bildungsvereine überlebten ihre Gründung nicht so lange. Neugründungen gab es auch bei berufsständischen Vereinigungen.

Es gab schon eine öffentliche Bibliothek am Damm mit einem respektablen Ansehen als wissenschaftliche und Universalbibliothek.

Auch das Pressewesen empfing Impulse von der „Literaria“, etwa die „Oldenburgischen Blätter“ und die „Oldenburgische Zeitung“. Der Gymnasialprofessor Adolf Stahr (1805 – 1876), ein ausgewiesener Philologe, Literatur- und Kunstkritiker, begründete die „Neuen Blätter für Stadt und Land“ und brachte damit das Pressewesen auf einen fortschrittlichen, humanistische, auch nationalen Kurs.

Gelegenheitsdichtungen, Gedichte mit dem Lob auf die oldenburgische Heimat, Dramatisierungen heimatgeschichtlicher Stoffe (Aufstand der Stedinger, Widukind) kennzeichneten eine Literatur im Stile des Biedermeier. Hinzu kamen eine viel gelesene Reiseliteratur und Darstellungen der Residenzstadt.

Es gab ein Hoftheater. Adolf Stahr mit seinen Freunden, Kabinettssekretär Christian Ludwig Starklof, dem ehemaligen Generalmajor Johann Ludwig Mosle, dem Intendanten Ferdinand von Gall und dem Dramaturgen Julius Mosen, traten als Schriftsteller und starke Förderer des oldenburgischen Theaterlebens in Erscheinung.

Im wissenschaftlichen Bereich sind vor allem die Bemühungen in der Altertums-, Volks- und Landeskunde hervorzuheben. Die Funde in den Mooren und Megalithgräbern (große, oft unbehauene Steinblöcke, die als Bausteine für Grab- und Kultanlagen benutzt wurden) fanden Eingang in die „Großherzogliche Alterthümersammlung“. Kammerherr Kurt von Alten (1822 – 1894) war die treibende Persönlichkeit des 1850 gegründeten „Oldenburger Landesvereins für Altertumskunde“. Aus der „Literaria“ ging ein „Oldenburger Kunstverein“ hervor.

Das erste Museum von 1830 erfasste die „Großherzogliche Naturaliensammlung“, vermehrt um vor- und frühgeschichtliche Funde und eine völkerkundliche Sammlung.

Bescheiden blieb das Musikleben. Immerhin gab es eine Hofkapelle unter der verdienstvollen Leitung von August Pott (1806 – 1883), dem Musikdirektor des Lehrerseminars. Auch traten in Oldenburg die seinerzeit berühmten Clara Schumann (Pianistin und Komponistin) und Jenny Lind (eine schwedische Opernsängerin – Sopran - , die wegen ihrer kometenhaften, kontinentübergreifenden Karriere auch als „Die schwedische Nachtigall“ in die Musikgeschichte einging) auf. Die Kirchenmusik blühte auf. Weltliche Chöre schlossen sich zu einem Sängerbund zusammen. Im Hasbruch kam es am 21. Mai 1863 zu einem Treffen der Oldenburger und Bremer Liedertafeln.

1864 – 1866 entstand das „Augusteum“ für die Dauerausstellung der Großherzoglichen Gemäldegalerie und für Sonderausstellungen des Kunstvereins.

 

V. Das Großherzogtum Oldenburg 1857 -

Ein Bundesstaat mit bescheidenem Zuschnitt, vielfach armer Bevölkerung, wenig Finanzkraft, noch nicht auf dem Weg in die Moderne – monarchisch-patriarchalisch, auch konservativ-liberal regiert – ein friedliches Land, in dem sich bei bescheidenem Anspruch ungestört leben ließ.

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